Lia hatte inzwischen das Schreien eingestellt und wimmert stattdessen nur noch vor sich hin. Die Schmerzen erlaubten ihr es nicht, einfach in die ihr, inzwischen bekannte, Schwärze zu flüchten. Der Typ hatte sie ohne jegliche Gefühlsregung einfach in eine Ecke geschleudert. Sie hatte gehofft, dass sie durch das Bewusstsein verlieren würde. Es blieb jedoch aus. Durch die enormen Schmerzen war sie unfähig sich zusammen zu kauern. Sie konnte noch nicht einmal genau ausmachen, von wo der Schmerz her rührte, da ihr einfach alles wehtat. Sie blendete kurzzeitig die Wache, die immer noch mitten im Raum stand, aus und versuchte zu lokalisieren, wo der Schmerz her kam. Sie konnte es nicht. Sie war sich nicht sicher, aber sie meinte, zu glauben, dass sie mindestens eine Rippe gebrochen hatte.
Sie versuchte sich aufzurichten, und somit ein wenig die Schmerzen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Sie sollte eines besseren belehrt werden. Die Wache war ganz und gar nicht der Meinung, dass Lia sich bewegen durfte. Er fuhr sie auf Portugiesisch an, gefolgt von einer schallenden Ohrfeige, die Lia schließlich doch die lang ersehnte Ohnmacht brachte. Sie sackte, wie ein nasser Sack in der Ecke zusammen.
Es vergingen einige Stunden, bis Lia wieder das Bewusstsein erlangte. Sie wusste nicht, wie lange sie weggetreten war. Es war auch im Moment nicht so wichtig für sie. Ihre Schmerzen erinnerte sie daran, was bis vor wenigen Stunden noch völlig unglaublich geklungen hätte. Wieder unternahm sie einen Versuch, sich vorsichtig aufzusetzen. Was ihr auch gelang. Noch ein Mal versuchte sie heraus zu finden, welche Knochen ihr eigentlich nicht wehtaten, es würde einfacher sein, das raus finden zu wollen, als wissen zu wollen, was alles wehtat.
Lia wurde aus ihrer Schmerzanalyse raus gerissen. Die Wache zerrte sie erneut hoch und schubste Lia unsanft, auf ein altes, dreckiges Bett. Zu ihren Schmerzen und ihrer Angst kam nun noch entsetzliche Panik hinzu. Sie wollte sich nicht ausmalen, was jetzt kommen sollte. Sie hatte einfach nicht mehr die Kraft, sich zur Wehr setzten zu können, bedingt durch die starken Schmerzen, die anscheinend immer heftiger wurden. Sie versuchte Abstand zu gewinnen zwischen sich und diesem Kerl. Es wollte ihr nicht gelingen. Schon nach wenigen Sekunden hatte der Typ Lia wieder zu sich zurückgezogen und war bereits dabei, den Knopf und den Reißverschluss ihrer Jeans zu öffnen und diese ihr zu entwenden.
Lia war kurz davor, sich einfach kampflos zu ergeben. Aber irgendetwas in ihr bäumte sich dagegen auf. Nein, sie würde nicht zulassen, dass dieser Typ ihr zu nahe kam. Egal wie. Panisch ließ sie ihren Blick durch die kleine Hütte streifen. Ihr Blick blieb an einer massiven Waschschale hängen. Schließlich suchte sie noch nach der Waffe, die die Wache bei sich getragen hatte und fand sie nicht unweit von der Ecke, in der sie selber eben noch gehockt hatte. Der Typ nahm keine Notiz davon, dass Lia sich einen Überblick über die Hütte verschafft hatte. Sie versuchte sich selber wieder, aus der aufkommenden Panik zu befreien. Sie musste den richtigen Zeitpunkt abwarten und dann möglichst schnell handeln. So weit die Theorie. Wie sie es praktisch umsetzte sollte, war ihr völlig unklar.
Sie ließ es einige wenige Augenblicke über sich ergehen, dass dieser Typ sie überall berührte und küsste. Schließlich beugte sich der Mann, weit genug über Lia rüber, so das er ein Knie brauchte, um sich abzustützen. Lia sammelte ein letztes Mal, all ihren Mut und ihre Kraft zusammen. Sie zog ihr eigenes Knie hoch und rammte es der Wache, mit der ihr verbliebenen Kraft, in die Ausbeulung seiner Hose rein. Die Wache hatte mit diesem Angriff so rein gar nicht gerechnet und daher blieb auch der erwartete Schmerzensschrei, für einige Sekunden aus. Lia hievte sich vom Bett und rannte das kurze Stücke, zu der eben entdeckten Waschschale rüber und zog diese, der Wache noch zusätzlich über den Schädeln. Wie erhofft, ging der Mann bewusstlos zu Boden. Lia regte sich nicht. Auch in dem Moment nicht, als sie sah, wie Blut an dem Kopf der Wache runter lief.
Sie versuchte aus der plötzlich entstandenen Stille, raus zu hören, ob sie, durch den kurzen Kampf, auf sich aufmerksam gemacht hatte. Es vergingen schier endlose Sekunden, in denen Lia wie versteinert, mit der zerbrochenen Schale, in den Händen, einfach nur da stand und in die Stille horchte. Nichts geschah. Niemand kam aufgeregt, mit gezogener Waffe, in die kleine Hütte gerannt. Sie brauchte noch einen weiteren Herzschlag, ehe sie begriff, dass niemand etwas mitbekommen hatte. Sie legte die Schale weg, drehte sich um sah sich dem Gewehr gegenüber stehen. Noch nie hatte sie eine Waffe in der Hand gehabt, doch jetzt blieb ihr keine andere Wahl, wenn sie jemals eine Chance haben wollte, hier wieder lebend raus zu kommen. Zitternd, aber entschlossen griff sie nach der Waffe, dabei fiel ihr eine Trinkfalsche auf, die scheinbar achtlos über einem Stuhl hang. Ohne groß darüber nach zu denken, griff sie auch danach und nahm einen großen Schluck daraus. Es schmeckte abscheulich, aber es linderte zumindest für den Moment den quälenden Durst. Auch die Flasche nahm sie mit.
Sie war gerade im Begriff, die kleine Hütte zu verlassen, als sie wiederholt, wie versteinert stehen bliebt. Es war kein Geräusch oder sonst irgendetwas, was sie versteinern ließ. Sie drehte sich um und ging noch ein Mal zu der Wache hin. Angewidert fing sie an, die Wache zu durchsuchen. Er war in ihr Gefängnis gekommen, also musste er einen Schlüssel haben. Die Suche blieb im ersten Anlauf erfolglos. Lia musste sich überwinden und die Wache auf den Rücken drehen. Sie versuchte es zu vermeiden, in sein Gesicht zu sehen. Mit zitternden Händen suchte sie ein zweites Mal die Kleidung ab und wurde dieses Mal fündig. Schnell ließ sie den Schlüssel in ihrer Hosentaschen verschwinden und trat nun endgültig den Weg nach draußen an. Die Hütte war nur schwach erleuchtet. Dadurch fiel es Lia nicht all zu schwer, sich den Bedingungen, die vor der Hütte herrschten, an zu passen.
Sie hasste die Dunkelheit, und dieser Umstand machte es ihr nicht einfacher. Sie orientierte sich kurz, um fest zu stellen wo die hölzernen Käfige standen. Lia hatte durch den kurzen Kampf, kurz ihre Schmerzen vergessen können, doch nun waren sie wieder da und schlimmer als zuvor. Sie drohte zusammenzubrechen vor Schmerzen. Riss sich aber im letzten Moment zusammen und suchte sich einen Weg in der Dunkelheit zu den Käfigen. Bewusst umging sie den Lichtschein, die die Fackeln abwarfen und versuchte so gut es ging im Schatten zu bleiben. Zwischen zwei Bäumen musste sie innehalten. Sie konnte einfach nicht mehr. Lia war am absoluten Limit ihrer Kräfte angekommen. Sie spürte, wie das Gewehr immer schwerer wurde in ihren Armen und ihr jeder Schritt einen weiteren Schmerz hinzufügte. Vorsichtig lehnte sie sich an einen der beiden Bäume. Wenn sie sich jetzt in die Hocken sinken lassen würde, würde sie von alleine nicht mehr hoch kommen. So widerstand sie der Sehnsucht, sich hinsetzten zu wollen und zwang sich weiter zu den Käfigen.
Lia erreichte zuerst den Käfig von Sam und erschrak, als sie ihn sah. "Sam", kam in einem leisen und fast weinerlichen Ton über ihre Lippen. Sam hatte sich in der Zwischenzeit wieder ein wenig erholt, von seinem Verhör und blickte überrascht auf. "Lia!" Seine Verwunderung war nicht zu überhören. Lia kramte in ihrer Hosentaschen und zeigte Sam den Schlüssel. Er würde das Schloss von innen aufmachen müssen. Lia würde es einfach nicht mehr zu Stande bringen. Sam nahm ihr den Schlüssel ab und entdeckte dabei das Gewehr, was Lia zu ihren Füßen gelegt hatte. Schnell aber leise war Sam auf den Beinen und entriegelte das Schloss. Innerhalb weniger Sekunden war er bei Lia. Wortlos zeigte Lia auf die Waffe. Sie würde sie kein weiters Mal in die Hand nehmen.
Sam raunte Lia leise zu, dass sie bleiben sollte, wo sie war. Schnellen Schrittes war Sam an Richards Käfig angelangt und holten diesen daraus. Verwirrung machte sich breit bei Richard. Wie war Sam daraus gekommen? Er sollte umgehend eine Antwort darauf bekommen. Sam fackelte nicht lange und zog Richard etwas unsanfter, als beabsichtig in die Dunkelheit zu Lia.