Lia brach in Tränen aus, nach den Worten des Mannes in Weiß. Ungeachtet dessen, dass ihr vollkommene Bettruhe verordnet wurde, sprang sie auf und riss sich dabei die kleine Kanüle aus ihrem rechten Arm. Es war ihr egal, dass aus der kleinen Wunde Blut hervor trat, auf eine Wunde mehr oder weniger kam es nicht mehr an. Sie rannte in das Zimmer, in dem Sam immer noch lag. Wie aus einem Mund riefen die vier Männer, Emu, Paul, Schneider und Richard Lia hinterher, ohne Erfolg.
Mit tränenerfüllten Augen krabbelte Lia zu Sam auf das Bett und strich ihm durchs Gesicht. "Sam." Sein Name kam aus tiefster Verzweiflung über Lias Lippen. "Sam? Bitte, lass uns nicht alleine", sprach sie leise mit tränenerstickter Stimme weiter. "Bitte nicht", fleht sie. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Sam künstlich beatmet werden musste und das die Ärzte ihn eine Woche in diesem Zustand lassen wollten. Was ihr jedoch noch viel mehr zu schaffen machte, war der Gedanke, dass Sam vielleicht nicht mehr aufwachen würde und auch nicht mehr von alleine im Stande sein würde, atmen zu können.
Es war ihr Mann, der sie aus ihren kreisenden Gedanken rausholte, durch eine vorsichtige Umarmung. "Lia? Er braucht jetzt Ruhe. Komm, wir bekommen ein anderes Zimmer", redete er behutsam auf Lia ein. "Nein, ich will bei ihm bleiben, er soll nicht alleine sein." Lia war völlig aufgelöst, mit ihren Nerven komplett am Ende und die Schmerzen, die bis vor wenigen Minuten noch in einem einigermaßen erträglichen Zustand waren, zermürbten sie erneut. Richard zog Lia vorsichtig vom Bett runter. "Du brauchst auch noch Ruhe, dir wurde völlig Bettruhe verordnet", immer noch redete Richard auf seine völlig, am Rande der Zweiflung stehenden, Frau ein. "Aber er kann doch.....wir können ihn doch nicht.....Richard?" Es war ein letzter hilfloser Aufschrei von Lia, Sam nicht alleine zu lassen, bevor ihre Kräfte sie abermals verließen und sie in Richards Armen zusammen sackte.
Das nächste was Lia wieder wahrnahm, war, ein abgedunkeltes Zimmer, in dem sich außer ihrem Bett noch ein zweites befand. Sie richtete sich auf und versuchte in der Dunkelheit zu erkennen, ob jemand in dem Bett lag. Es lag jemand drin. "Richard?" fragte sie flüsternd zu dem anderen Bett, das nur einen knappen halben Meter von ihrem eigenen entfernt war. "Er schläft." Es war Emu, der plötzlich aus dem Schatten von Richards Bett erschienen war. "Emu? Du bist noch hier?" "Ja, um sicher zu gehen, dass du nicht noch mehr Unsinn machst." Während er mit Lia sprach umrundete er Richards Bett und setzte sich an das Fußende von Lias Bett. "Wie geht es Sam?" wollte diese sofort wissen. "Unverändert", Emu überlegte, "gibt es eigentlich jemanden, den wir benachrichtigen sollten, wegen Sam?" Lia schüttelte erst traurig den Kopf. "Halt stopp, doch, na klar", sie war mitten mal total aufgeregt.
"Ssscchhhh, beruhigt dich wieder. Aufregung kannst du so grad gar nicht vertragen", Emu machte eine kurze Pause und wartete darauf, dass Lia sich wieder ein wenig beruhigen würde, "und wen können wir kontaktieren? Ich weiß gar nichts über ihn." "Das musst du auch nicht. Emu? Kannst du bitte ins Hotel fahren und bei uns im Hotelzimmer nach dem Handy von Sam suchen?" Lia wurde fahrig und war schon wieder total von der Rolle. "Lia? Aber nur wenn du mir hoch und heilig versprichst, dass du ruhig bleibst? Versprochen?" Es war eigentlich mehr ein Flehen von Emu, als das er von Lia ein Versprechen verlangte. Er wollte einfach nur, dass Lia ruhig blieb. Nach einer Antwort verlangend, sah er sie an. Lia nickte nur stumm. "Gut, ich verlass mich drauf", grinste er Lia an, strich ihr dabei flüchtig durchs Gesicht und wandte sich zum Gehen. "Ach? Wo könnte Sam das Handy gelassen haben?" Lia nannte Emu einige Plätze im Hotelzimmer, worauf Emu anschließend endgültig verschwand.
Lia ließ noch einige Minuten verstreichen, eh sie sich aus dem Bett pellte. Vorsichtig ging sie zu Richard rüber. Sie strich ihm zärtlich durch sein Gesicht und gab ihm einen Kuss. "Nicht wegrennen, ich will nur nach Sam sehen", damit war sie auch schon raus dem Krankenzimmer. Sie musste sich kurz orientieren, ob sie immer noch auf der gleichen Station war. Es war die gleiche Station, nur war Sam nicht mehr in dem Zimmer, in dem sie ihn zuletzt gesehen hatte. Sie ging zu den Aufzügen und stand etwas ratlos vor dem stillen Portier. Hatte sie doch nicht die geringste Ahnung, was Intensivstation auf Spanisch hieß. Noch einmal ging sie die einzeln, aufgelisteten Stationen durch. So schwer konnte es doch nicht sein. "Intensiv....hm? Kann auch im spanischen nicht viel anders klingen....intensiva vielleicht?" Weiter vor sich hin murmelnd studierte sie den Aushang.
"Ha!" Kam von ihr plötzlich triumphierend, "da haben wir es doch 'unidad de cuidados intensivos' na ja, klingt zwar nicht ganz nach Intensivstation, aber so ähnlich." Sie betrat den Aufzug und betätigte den Knopf für die entsprechende Etage. "Unidad de cuidados intensivos? Klingt komisch. Heißt cuidad nicht Stadt? Und unidad war doch die Einheit", überlegte sie laut vor sich hin. Sie musste grinsen. "Klingt wörtlich übersetzt ja sehr chaotisch." Sie war endlich auf der Etage angekommen. Nun musste sie nur noch Sam finden. Während Lia sich mal wieder einen Überblick verschaffen musste, wurde sie von einer freundlichen Nachtschwester angesprochen. Leider verstand Lia nicht das Geringste, da sie einfach zu schnell sprach. Lia kramte noch einmal in ihren, vergessen geglaubten Spanischkenntnissen.
"Estoy buscar Señor Fisher." Die Nachtschwester grinste, offensichtlich hatte Lia doch das falsche Verb erwischt. "Buscando", verbesserte die Schwester. Nun war es Lia die lächelte. So falsch lag sie dann wohl doch nicht. "Estoy buscando Señor Fisher", wiederholte Lia ihren Satz, diesmal richtig. Die Schwester deutete Lia an, ihr zu folgen. Nach ein paar Metern sah Lia Sam in einem der Zimmer liegen, die Tür stand offen. Wie sie Sam so daliegen sah, schossen Lia wieder die Tränen in die Augen und kurz darauf kullerten auch schon die ersten Tränen über ihre Wangen. Sie strich Sam durchs Gesicht. "Sam? He? Komm schon, lass den Scheiß. Du kannst dich jetzt nicht einfach so aus der Affäre ziehen, dass funktioniert nicht. Ich hab es dir schon damals am Flughafen gesagt, so leicht kommst du mir nicht davon, nicht so." Es war die pure Verzweiflung, die aus Lia sprach. Was konnte sie anderes Tun? Nichts! Einfach nur für ihn da sein. Sie setzte sich zu Sam aufs Bett und nahm seine Hand.
Lia hatte die Zeit aus den Augen verloren und wurde von Emu in die Realität zurückgeholt. "Lia? Du hattest mir versprochen, dass du keinen Unsinn machst." Lia fiel es schwer, ihren Blick von Sam abzuwenden und sich Emu zu zuwenden. "Das stimmt nicht, ich sollte nur ruhig bleiben, dass bin ich", entgegnete sie. "Hmpf, hier." Emu gab Lia das Handy von Sam. "Komm bitte wieder mit runter in dein Zimmer. Außerdem, willst du sicherlich gleich telefonieren, oder?" Lia nickte wieder einmal nur stumm. "Gut, dann lass uns gehen." Lia gab Sam noch einen Kuss auf die Stirn und ließ sich dann bereitwillig von Emu zu den Aufzügen führen. Emu drückte den Knopf für die unterste Etage, da er wusste, dass Lia eh telefonieren wollte.
Lia war schon aus dem Aufzug raus und steuerte die große Ein- beziehungsweise Ausgangstür an. "Lia? Warte." Emu hatte zwar an Sachen für die Drei gedacht, hatte sie aber im Zimmer bei Richard und Lia gelassen. Er zog seine Jacke aus und legte sie Lia über die Schultern. Ein kurzes "Danke", kam von ihr ehe sie mit dem Handy nach draußen verschwand. Sie hoffte in dem elektronischen Telefonbuches des Handys, irgendwo die Nummer von Lambert zu finden. Sam hatte ihr erzählt, dass er nicht nur sein Chef war, sondern auch sein Freund. Zumindest war Lambert der einzige, den Lia als Sams Freund kannte und somit kam auch nur er in Frage. Wenigstens Lambert sollte wissen, was geschehen ist. Während sie suchte, stellte sie fest, dass das Telefonbuch nicht allzu viele Einträge hatte. So gelangte sie schnell an die Nummer von Lambert.
Sie ging auf Wählen. Ihr Daumen schwebte für den Bruchteil einer Sekunde über der Taste zum Abbrechen des Wahlvorganges. Es war weit nach Mitternacht. Nein, sie würde Lambert jetzt bescheid sagen wollen. Es dauerte nur wenige Freizeichen lang und sie hatte Lambert am anderen Ende der Leitung dran. "Sam? Was gibt es?" fragte dieser völlig verschlafen. "Hier ist nicht Sam, ich bin es, Lia. Es geht um Sam", stellte sie bedrückt fest. Sie hörte wie ihr Gesprächspartner am anderen Ende sofort hell wach war und nachfragte, was los sei. Sie schilderte kurz was passiert war und wie es zurzeit um Sam gestellt war. Sie spürte wie es Lambert betroffen machte, was er zu hören bekam, dennoch bedankte er sich für den Anruf und verabschiedete sich.
Sie merkte, wie sie ihren Körper über beansprucht hatte. Die Schmerzmittel, die sie bekommen hatte, schienen nach zu lassen und die diversen Bandagen, die sie verpasst bekommen hatte beeinträchtigen sie doch arg. Ihr wurde abermals schwindelig. Mit leicht torkelndem Gang suchte sie wieder den Weg in das Innere des Krankenhauses, wo Emu auf sie gewartete hatte. Besorgt ging er Lia entgegen. Er musste sie, für den restlichen Weg zurück auf ihr Zimmer, stützen.