Lia blickte erstaunt Lambert hinterher und strahlte dann Sam an. "Also fliegen wir dann zurück in die Staaten", stellte sie erfreut fest. Sie strich Sam durch sein Gesicht und verweilte einen kleinen Moment an der genähten Wunde auf seiner rechten Wange. "Von der blöden Platzwunde behältst du keine Narbe zurück und da wird wohl eine draus werden, hm?" Sam lächelte sie an. "Wahrscheinlich...weißt du eigentlich schon, wie lange du noch hier bleiben sollst?" "Öhm? Ich hab keine Ahnung. Im Bett liegen kann ich auch woanders, dass brauch ich nicht hier." Richard seufzte. "Lia? Du hast dich so schon nicht an die Bettruhe gehalten." Warf er ihr ein wenig vorwurfsvoll vor. "Hmpf, na und? Geschadet hat es mir auch nicht", entgegnete sie.
Lia hatte es sich ein weniger gemütlicher gemacht, auf Sams Bett, so dass sie sich ankuscheln konnte. "Ich denke, ich bin wohl ganz froh, wenn wir wieder zurück in die Staaten kommen", bemerkte Sam. "Nur zurück in die Staaten, oder wieder nach hause?" hackte Lia nach. "Wahrscheinlich beides." Sie grinste und gab Sam einen vorsichtigen Kuss. Sam sah auf. Lambert stand wieder in der Tür. "Ich habe alles geregelt. Heut Nachmittag geht es zurück." Richard erhob sich aus seinem Stuhl. Verwirrt sah Lia ihn an. "Ich werde ins Hotel fahren und unsere Sachen zusammen packen. Und du?!" Durchdringend sah er seine Frau an. "Du kümmerst dich darum, was jetzt mit dir ist." Lia nickte nur und sagte nichts. Sie merkte, dass Richard irgendwie genervt war. Wahrscheinlich wollte er nach hause, oder die ganze Sache ging ihm auf den Keks. Sie wollte nicht nachfragen. Irgendetwas davon wird es wohl mit Sicherheit sein. Richard gab Lia einen Kuss und streifte ganz beiläufig Sams Schulter zum Abschied.
"Nun geh schon, du wirst wohl eine Weile brauchen, bis du die Ärzte davon überzeugt bekommst, dass du gehen kannst." Hörte sie Sam hinter sich. Lambert hatte inzwischen den Platz von Richard eingenommen und saß nun auf dem Stuhl. "Wir treffen uns dann am Flughafen, wenn ihr so weit seid." Wieder nickte Lia nur, gab Sam noch einen Kuss und entschwand dann in ihr eigenes Zimmer. Lia fing an, die paar Klamotten, die Emu her gebracht hatte, wieder in die Tasche zu legen. Anschließend stellte sie sich der Herausforderung, mit dem Arzt darüber zu verhandeln, dass sie gehen konnte. Wie sich raus stellen sollte, hatte der behandelnde Arzt nichts dagegen und hätte Lia sowieso entlassen wollen. Es vereinfachte ihr die Sache ein wenig. Zurück im Zimmer, zog sich Lia um.
Kurze Zeit später, ging sie zurück auf Sams Station, um dort feststellen zu müssen, dass dieser bereits mit Lambert weg war. Sie zuckte mit den Schultern und ging gemächlich zurück zu den Aufzügen. Als einer der Aufzüge ankam, kam ihr Richard entgegen. Sie freute sich. "Hey!" Lia gab ihm einen kurzen Kuss. "Gar nicht bei Sam?" "Nein, ist wohl schon mit Lambert zum Flughafen. Wir sollen hinkommen, wenn wir hier alles fertig haben", erklärte sie. "Haben wir denn hier alles fertig?" fragte ihr Mann ein wenig skeptisch. "Ja, ich darf gehen. Der Doc hätte mich jetzt die Tage sowieso entlassen wollen." Unsicher musterte Richard seine Frau. "Und du bist dir sicher, dass du dich schon wieder fit genug fühlst?" Der besorgte Unterton in seiner Stimme, war Lia nicht entgangen. "Keine Bange. So weit geht es mir wirklich gut. Das übliche halt. Ich soll mich bei meinem Hausarzt blicken lassen, damit er mich weiter behandeln kann." Richard kam um einen tiefen Seufzer nicht rum. "Wir sind aber noch nicht in Berlin." "Das weiß ich, aber es wird doch wohl auch nen Arzt in Maryland geben, oder?" Richard zuckte mit den Schultern, "wahrscheinlich." "Siehst du?! Wollen wir jetzt zum Flughafen?" "Dann los."
"Sind die anderen schon wieder nach hause geflogen?" wollte Lia schließlich wissen, als sie am Flughafen ankamen. "Ja. Sie wollten auch nach hause, kann ich verstehen", antwortete ihr Richard und versuchte sich nebenbei einen Überblick zu schaffen, wo sie eigentlich hin mussten. Nach kurzem Suchen, hatte er Lambert entdeckt, der schon auf die Beiden gewartete hatte.
Einige Zeit später waren sie in der Luft. Lia wollte sich und ihrem Mann nicht eingestehen, dass es ihr immer noch nicht so gut ging, wie sie allen weiß machen wollte. Sie hatte immer noch Schmerzen, nicht mehr so stark, wie zu Anfang ihres Krankenhausaufenthaltes, aber sie waren immer noch da. Sie ließ ihren Kopf nach hinten zurück fallen in die Lehne des Sessels und schloss ihre Augen. Sie war erschlagen. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Glieder mit Blei gefüllt waren. Wie musste sich dann erst Sam fühlen? Sie wollte lieber nicht darüber nachdenken. Der Flug verlief ruhig, so dass Lia innerhalb weniger Minuten eingeschlafen war.
Sie wollte nicht einschlafen, konnte dem aber nichts entgegen setzen. Die Müdigkeit überrannte sie förmlich. Sie wusste, dass sie wieder gefangen sein würde. Gefangen in jenem Albraum, der sie nun schon seit dem Vorfall verfolgte und nicht los ließ. Immer und immer wieder musste sie die gleichen Szenen durchleben, ob sie nun wollte oder nicht. Unfreiwillig fand sie sich, in jener Hütte wieder in der ihr die Wache erst zu nahe kam und sie sie anschließend niedergeschlagen hatte. Sie spürte immer noch die Berührungen der Wache auf ihrer Haut. Übelkeit machte sich in Lias Innerem breit. Sie sah sich selbst auf dem Bett liegen und über ihr den Mann, wie er sich über sie beugte und überall berührte. Die Übelkeit nahm weiter zu.
Es war wie ein Schnitt, in einem Film und Lia fand sich nun mit der niedergeschlagenen Wache, die am Boden lag, wieder. Wieder sah sie die Blutlache, die zunehmend größer wurde. Sie wollte schreien, konnte es aber nicht. Sie wollte davon laufen, war aber nicht im Stande dazu. Sie konnte nichts weiter tun, als zu sehen, wie das Blut sich seinen Weg auf den Boden suchte. Sie wusste, dass die Wache nicht mehr aufstehen würde. Nie mehr.
Mitten Mal wurde ein Wort in ihrem Traum immer deutlicher und wurde immer mehr lesbar, vor ihrem inneren Augen. Sie versuchte die Augen davor zu verschließen, sie wollte es nicht lesen. Sie versuchte sich abzuwenden, doch es gelang ihr nicht. Sie musste hinsehen. Ihr Traum ließ ihr keine andere Wahl. Sie musste das Wort, was nun deutlich lesbar mitten im Raum stand lesen. Verzweifelt kämpfte sie dagegen an. Wollte einfach nicht hinsehen. Doch eine unsichtbare Kraft hielt sie fest und fixierte ihren Blick, auf das Wort, was nun zentral im Raum stand. Sie konnte nicht mehr ausweichen, egal was sie noch versuchen würde. Sie musste es lesen. Mörder.
Lia erwachte schreiend aus ihrem Traum. Die Übelkeit, die sie bis eben nur in ihrem Traum gespürte hatte, verfolgte sie nun in die Wirklichkeit. Voller Panik sah sich Lia um. Nahm dabei nicht im Geringsten wahr, dass Richard sie mehrmals angesprochen hatte. Sie löste ihren Gurt, stand eilig auf und verschwand auf der Toilette. Das bisschen, was sie die letzten Tage gegessen hatte, suchte sich seinen Weg nach draußen. Lia hang mehr als eine halbe Stunde über der Toilette, eh sie wieder fähig war, sich aufrichten zu können. Erst jetzt hörte sie, dass Richard an die Tür hämmerte und unentwegt fragte, was mit ihr sei. Lia versuchte irgendwie einigermaßen überzeugend zu klingen, als sie ihm durch die Tür hindurch sagte, dass alles in Ordnung ist.
Sie wollte jetzt nicht raus gehen. Sie wollte sich nicht den Fragen von Richard aussetzten. Sie konnte ihm eh keine Antwort geben. Sie wollte es auch gar nicht. Der Traum hatte offenbart, was Lia bisher verdrängt hatte. Sie hatte den Mann, der ihr zu nahe kam, umgebracht. Sie versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Was ihr aber immer wieder misslang. Ihre derzeitigen Gedanken kreisten immer noch um das Geschehen in der Hütte.
Lia ließ sich in die Hocke sinken und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Ihre Nerven lagen blank und schienen nur noch an einem dünnen Seilgeflecht zu hängen. Sie drohten zu reißen, wenn Lia nicht eine Lösung fand, damit klar zu kommen. Sie musste irgendetwas unternehmen. Angestrengt versuchte sie einen Weg zu finden, um mit den Geschehnissen fertig zu werden. Ihre Gedanken und Gefühle kreisten abermals. Diesmal um Sam und Richard. Sie würde die Beiden nicht länger anlügen können. Mit der ihr letzten verbliebenen Kraft erhob sie sich und schloss die Tür auf.
"Lia?" Kam es ihr sofort, in einem sorgenerfüllten Ton entgegen. Richard hatte immer noch vor der Tür verweilt. Sie wusste, dass er ihre Antwort auf seine Frage nicht geglaubt hatte. Zitternd und kreidebleich stand Lia vor ihrem Mann und sah ihn zögerlich an. Richard nahm sie in seine Arme und Lia war dankbar darüber. In diesem Moment spürte sie, dass sie mit der Sache nicht alleine fertig werden würde und sie war froh, dass Richard bei ihr war. Ohne bisher ein weiteres Wort gesagt zu haben, drückte sie sich enger an Richard ran. Er sollte sie jetzt nicht los lassen. Es war ihr Mann, der das Wort abermals ergriff. Immer noch wollte er wissen, was geschehen war. Lia konnte höre, wie besorgt er war. Sie sah ihn an. "Können wir zu Sam gehen?" fragte sie kaum hörbar. Richard nickte nur und ging mit Lia zurück zu Sam und Lambert.
Als die Beiden bei Sam ankamen, mussten weder Richard noch Lia etwas sagen. Lambert ging. Offenbar wusste er, dass die Sache ihn nichts anging. Lia blickte Sam an und sah, dass auch er sich Sorgen machte. Weder Richard noch Sam drängten Lia, etwas zu sagen. Es würde nichts bringen, sie zu zwingen. Beide hofften, dass Lia von alleine erzählen würde, was in der Hütte geschehen war. Immer noch zitterte Lia am ganzen Leib. Sie schaffte es einfach nicht, sich zu beruhigen. Sie blickte zu Boden. Sie wollte Sam und Richard nicht in die Augen sehen. Sie hatte die Beiden bewusst belogen. Sie sog die Luft ein und stellte sich nun ihrem Schicksal, ihrem Mann und Sam zu erzählen, was wirklich passiert war. Es war für Lia, als wenn sie alles noch einmal erleben würde. Leise und unter großer Kraftanstrengung erzählte sie von dem Vorfall in der Hütte und was davor noch gewesen ist.