Lia wurde immer noch von dem Albtraum verfolgt und hatte wie schon zuvor, bisher keine Möglichkeit gehabt, aus dem Traum zu entkommen. Sie wühlte sich von einer Seite auf die Andere im Bett, war aber nicht in der Lage wach zu werden. Plötzlich fand sie sich im Dschungel wieder, wo das Unheil seinen Lauf nahm. Sie stand an dem Abgrund und drehte sich wieder zu den finster dreinblickenden Gestalten um. Alles wiederholte sich noch einmal. Noch einmal stürzte Lia den Abgrund hinab und landete unsanft ein paar Meter tiefer wieder auf dem Waldboden. Sie wurde wach.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht musste sie feststellen, dass sie aus dem Bett gefallen war. "Hmpf, aua", wimmerte sie leise und stand vorsichtig vom Boden auf. Ein kurzer Blick auf das Bett verriet ihr, dass Richard noch nicht hier gewesen war. Sie zitterte leicht und fror. Lia schnappte sich die Decke vom Bett, wickelte sich darin ein und machte sich auf die Suche nach Richard. Lia hatte das Schlafzimmer im oberen Stockwerk des Hauses gefunden und ging nun die Treppe wieder nach unten. Es bereitete ihr Schmerzen. Innerlich fluchte sie darüber. Wusste aber genau, dass sie nicht unschuldig an diesen Schmerzen war. Sie kam einfach nicht zur Ruhe.
Im Wohnzimmer angekommen, war sie dankbar, dass Richard Licht eingeschaltet hatte, auch wenn es das Wohnzimmer nicht wirklich erhellte, so konnte sich Lia zumindest im Halbdunkeln orientieren. Verwundert sah sie sich um. Konnte sie doch Richard nirgends entdecken. Ein wenig brummig und noch nicht ganz wach, machte sich Lia auf den Weg in die Küche. Sie hatte Hunger. Es war zwar nicht mehr die Zeit, um opulent zu dinieren, aber es war ihr egal. Sie hoffte, dass Sam noch etwas im Kühlschrank hatte, womit Lia etwas anfangen konnte. Richard würde sich schon wieder anfinden, da war sie sich sicher.
Da Lia die Stille im Haus, als unheimlich und unangenehm empfand, sah sie sich gezwungen, mit dem Geschirr, was sie schnell gefunden hatte, mehr Krach zu machen als notwendig gewesen wäre. Hätte sie ein Radio gefunden, hätte sie wohl auch das als Alternative zum Krachen machen eingeschaltet.
Richard schreckte aus seinen Gedanken hoch, als er das Klirren hörte. Schnell war aus dem Flur verschwunden und die Treppe nach oben gegangen. An der Tür zum Keller, blieb er noch einmal stehen, um lokalisieren zu können, wo der Krach herkam. Schnell wurde ihm klar, dass es nur Lia sein konnte, die in der Küche zu Gange war.
"Was machst du denn?" fragte Richard amüsiert, aber dennoch leise. Lia war so sehr damit beschäftig gewesen, die Stille, durch ihren Krach zu bekämpfen, dass sie Richard nicht gehört hatte. So zuckte sie erschreckt zusammen, drehte sich dabei um die eigene Achse und ließ den kleinen Porzellanteller fallen, welcher in tausend Teile zerbrach. "Gott verdammt noch mal Richard", fuhr sie ihn ungewollt an und blickte dabei auf das Scherbenmeer vor sich. "Hmpf, nu guck, kaputt", schmollte sie. Richard kam um ein Grinsen nicht rum. Sie war einfach zu niedlich, wenn sie noch nicht wach war. "Bleib da stehen", sagte Richard, als er sah, dass Lia barfuss durchs Haus gelaufen war. Lia erstarrte zu einer Salzsäule. Wollte sie doch unter keinen Umständen Bekanntschaft mit einer Scherbe machen.
Nachdem Richard, die Scherben beseitigt hatte, erwachte Lia wieder aus ihrer Starre und machte da weiter, wo sie zuvor aufgehört hatte. "Lia?!" Kam etwas vorwurfsvoll von Richard. "Was? Ich hab Hunger", gab sie, wie ein kleines Kind von sich. "Was du nicht sagst. Und was soll das werden, wenn es fertig is?" Richard konnte ihren Arbeitsschritten nicht ganz folgen und war sich auch ziemlich sicher, dass es zu nichts führen würde. Lia klapperte einen Schrank nach dem Anderen ab, bis sie endlich auf Marmelade gestoßen war. Sie reckte sich nach dem Glas, musste aber enttäuscht das Unterfangen aufgeben. Sie war zu kurz. "Menno, warum denn? Was soll denn das? Argh...Richard!!" wetterte Lia. Richard musste lachen. "Ey? Nicht lachen hier. Ich find das gar nicht komisch, dass ich da nicht ran komme." Lia musterte die anderen Hängeschränke. "Dis is hier aber nüscht für kurze." Richard stand auf und ging zu Lia. "Vielleicht auch, damit so jemand wie du nicht mitten in der Nacht die Vorräte plündern kann, hm?" grinsend gab Richard ihr einen Kuss. "Öy?" Lia knuffte ihn in die Seite. "Das stimmt doch wohl überhaupt nicht", entrüstete sich Lia gespielt. Richard kam aus dem Grinsen nicht raus, griff nebenbei in den Schrank und holte das Marmeladenglas raus.
Nachdem Lia sich endlich ein paar Brote gemacht hatte, saß sie mit Richard im Wohnzimmer. "Isch habbb geschlapfen", kam mit vollem Mund von Lia, "können wir jetsch zu Sam pfahren?" Ungläubig sah Richard sie an. "Wie war das? Ich hab kein Wort verstanden. Beiß noch mal ab, vielleicht versteh ich dich dann besser." Das ließ Lia sich nicht zweimal sagen und ließ der Worte Taten folgen. Noch einmal verkündete sie, was sie wollte. Richard bemerkte schnell, dass Lia die paar Stunden Schlaf gut getan hatten. Lia schaute Richard, mit einem dieser Blicke an, denen Richard in den seltensten Fällen widerstehen konnte. "Lia? Jetzt? Es ist mitten in der Nacht", merkte er an. "Stimmt gar nicht, wir haben es kurz vor vier, also isses schon morgen", musste Lia nun doch mal ein bisschen klugscheißen. Richard seufzte, manchmal hasste er es, mit ihr zu diskutieren, insbesondere dann, wenn es um etwas ging, was Lia wollte. Wie jetzt. "Sam wird mit Sicherheit auch noch schlafen. Mal davon abgesehen, dass wir wahrscheinlich gar nicht zu ihm gelassen werden", versuchte Richard Lia die Sache irgendwie auszureden. "Lambert hat gesagt, dass wir jederzeit zu Sam können", maulte Lia. "Damit meinte er aber bestimmt nicht, so eine Uhrzeit."
Lia wurde bockig. Wusste sie doch zu genau, dass ihr Mann Recht hatte, wollte sich dies aber nicht eingestehen. Sie wollte Sam sehen, bei ihm sein. Der Gedanke, dass Sam ein weiteres Mal alleine war, gefiel ihr ganz und gar nicht. "Bitte, lass es uns wenigstens versuchen", sie wollte nicht so einfach aufgeben. "Sam ist schon wieder ganz alleine dort. Ich will das einfach nicht." Richard seufzte erneut. "Lia? Mir gefällt das genauso wenig, aber sie werden uns jetzt nicht zu Sam lassen. Ganz bestimmt nicht. Außerdem möchte ich auch noch gerne ein paar Stunden schlafen." Lia musste einsehen, dass es wohl keinen Sinn machen würde, jetzt weiter darüber diskutieren zu wollen und gab sich geschlagen. "Na gut, dann aber nachher nach dem Aufstehen?" Richard nickte und war froh, dass Lia sich davon abbringen ließ, jetzt zu Sam zu wollen.
Gemeinsam räumten sie noch das Geschirr in die Küche und gingen dann ins Schlafzimmer. Lia musste erst noch einmal wühlen, bevor sie sich bei Richard einrollte, um sich an ihn kuscheln zu können. Wieder dauerte es nicht lange, bis Lia eingeschlafen war.
Als sie das nächste Mal wurde, war sie zu erst durcheinander. Sollte es das erste Mal gewesen sein, dass sie nicht von dem Albtraum heimgesucht wurde? Oder konnte sie sich nur dieses Mal nicht daran erinnern? Sie beschloss, dass sie nicht geträumt hatte. Erinnern wollte sie sich sowieso nicht daran. Da sie im Schlaf gewühlt hatte, lag sie nicht mehr bei Richard. Sie drehte sich zu ihm und sah, dass er noch schlief. Ihr nächster Blick ging zu der kleinen Digitaluhr, auf dem Nachtisch. Sie erschrak. War es doch schon weit nach elf Uhr. Obwohl es schon so spät war, hatte Lia gerade nicht die Lust aufzustehen. Zu sehr, lullten sie, das gleichmäßige Atmen und die Wärme von ihrem Mann wieder ein. Sie robbte das kurze Stück wieder zurück zu Richard und kuschelte sich erneut ein. Es verging noch einige Zeit, bis auch Richard wach wurde und erfreut feststellte, dass Lia noch bei ihm war.
Lia blickte ihm in die Augen und lächelte. "Hey! Gut geschlafen?" Richard richtete sich ein Stück auf und stütze sich mit dem linken Ellenbogen ab. "Ja. Hab ich. Bist du schon lange wach?" Lias Blick ging wieder zur Uhr. "Eine gute Stunde." Richard zog Lia wieder zu sich, gab ihr einen Kuss und drückte sie dann sanft an sich. "Aber jetzt fahren wir zu Sam, oder?" Richard grinste. "Ja, aber erst würde ich gerne in ruhe duschen und etwas frühstücken, einverstanden?" Lia grinste. "Einverstanden, ich komm mit duschen." Damit war Lia auch schon aus dem Bett und wartete ungeduldig an der Tür auf Richard.
Da Richard noch einen kleinen Moment brauchte, um richtig wach zu werden, ging Lia ohne ihn schon ins Bad und verschwand unter der Dusche. Zum wiederholten Male, merkte Lia, wie gut eine Dusche tat und ließ das warme Wasser auf sich herab prasseln. Einen Augenblick später gesellte sich Richard zu Lia mit unter die Dusche. Sie drehte sich zu ihm und gab ihm einen zärtlichen Kuss, der seine Wirkung bei Richard nicht verfehlt hatte. Lia grinste leicht triumphierend und ließ ihre Hände über seinen durchtrainierten Oberkörper wandern. Trotz der Tatsache, dass die Dusche warmes Wasser abstrahlte, erkannte Lia eine leichte Gänsehaut bei ihrem Mann und merkte, dass er ihre Berührungen genoss. Lia machte weiter und strich ihm sanft über seine Brust, eh sie anfing diese mit Küssen zu bedecken. Auch Richards Hände begannen zu wandern und streichelten vorsichtig über Lias Körper. Leise stöhnte sie auf, war es doch schon einige Zeit her, in der sie mit Richard in vertrauter Zweisamkeit gewesen war.
Richard und Lia vergaßen alles um sich rum und gaben sich dem jeweiligen Partner vollkommen hin. Jede Berührung, jeder Kuss wurde intensiv wahrgenommen und jede einzelne Sekunde wurde ausgekostet. Keiner der Beiden war bereit gewesen, den Anderen von seinem quälenden Verlangen zu befreien. Zu groß war die Sehnsucht danach, um es zu schnell aufgeben zu wollen. Schließlich war es Lia, die danach bettelte erlöst zu werden. Ihr gesamter Körper zitterte und begann schließlich zu beben. Sie bäumte sich auf und krallte sich in Richards Nacken fest, ehe sie fast zeitgleich mit Richard kraftlos zusammen sackte. Beide brauchten einen Moment, um wieder zu Kräften zu kommen und die Dusche verlassen zu können.
Lia schlang sich ein Handtuch um und verschwand wieder in Richtung Schlafzimmer. "JETZT!" begann sie, "jetzt hab ich auch Hunger."