Auch Lia musterte Sam verstohlen von der Seite. Schließlich löste sie sich aus der Umarmung von Richard, rückte ans Ende des Sofas, so dass sie nur noch eine kurze Distanz zu sich und Sams Sessel hatte. Sie fixierte ihn durchdringend. Sam blickte von seinem Glas auf und sah Lia an. Diese überbrückte nun die kurze Entfernung zu Sam und fand sich bei ihm auf dem Schoß wieder. Lia konnte sehen, dass Sam damit offensichtlich nichts anfangen konnte, viel zu sehr war er mit seinen eigenen Gedankengängen beschäftigt. Sie sprach nicht mit ihm, strich ihm ein paar vereinzelte nasse Strähnen aus dem Gesicht, gab ihm einen Kuss und krabbelte wieder zurück auf das Sofa.
Lia blieb nicht lange dort. Sie konnte mit der Ruhe nicht viel anfangen. Sie wusste aber auch, dass eben diese Ruhe und Stille ein Teil von Sams Leben zu sein schien. Sie hatte sich wieder vom Sofa erhoben und stand nun vor der Verandatür und beobachtete den Regen, der sich immer noch, wie aus Eimer auf die Erde ergoss. Im tiefsten Inneren wusste Lia, dass Sam Zeit brauchte, um mit der Situation etwas anfangen zu können. Zumindest glaubte sie, dass es so war. Wieder ein Mal wurde ihr bewusst, wie unterschiedlich Sam und Richard waren. Hatte Richard sich oben im Schlafzimmer zu ihrer Schwangerschaft geäußert und ihr noch einmal bestätigt, dass er das Kind auch haben wollte. Sam hingegen wich einem konkreten Statement, seinerseits, bisher aus. Sie überlegte. War es nur die Angst? Die Angst vor was? Wie so oft, wenn es um Sam ging, kannte Lia keine Antwort darauf. Nicht nur er hatte Angst. Lia erging es im Moment nicht anders. Vielleicht mit anderen Beweggründen, aber dennoch hatte auch sie Angst.
Lia war so sehr in ihren Gedanken versunken, dass sie nicht wahrnahm, dass Lambert bereits vom Duschen wieder nach unten gekommen war und sich mit Richard unterhielt. Sie hörte zwar das gesprochene Wort, konnte aber keinen Sinn hinter den einzelnen Wörtern verstehen. Zu sehr war sie mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt gewesen. Lamberts Blick fiel auf Lia, die immer noch vor der Verandatür stand und dem Wettertreiben zusah. Dann ging sein Blick, besorgt, zu Sam. Offensichtlich hatte Sam es nicht geschafft, Lia seine Gefühle offen zu legen. Lambert wollte Lia ansprechen, wurde aber von einem Ereignis, ganz anderer Art davon abgehalten. Lia schrie kurz erschrocken auf und wich dann einen großen Schritt von der Tür weg. Der Regen hatte Gewitter mitgebracht und somit auch zuckende Blitze über den dunkel wolkenverhangenen Himmel erscheinen lassen. Kurz darauf konnte man ein tiefes, aber weit entferntest Grollen vernehmen. Es war so dumpf, dass man es in der Magengegend spüren konnte.
"Wäähhh", mit einem Satz war Lia wieder auf dem Sofa, um so noch einen größeren Sicherheitsabstand zu sich und der Verandatür zu bekommen. Richard grinste. "Sag kein Wort", drohte ihm Lia lachend. Sie blickte sich um und sah, dass Lamberts Teetasse bereits leer war. "Wollen sie noch einen?" fragte sie daraufhin und deutet auf die leere Tasse. Lambert verneinte. "Ich muss doch noch fahren", Lia grinste, sie kannte diese Antwort, von sich selbst nur zu gut. "Warum? Das Haus ist groß genug. Für dich werden wir wohl noch einen Platz finden", brach Sam plötzlich sein Schweigen. Lia freute sich über das Angebot, was Sam Lambert gerade unterbreitet hatte und sah ihn nun an. "Und wie sieht es jetzt aus?" Lia stand bereits und hielt Lambert fordernd die Hand, nach der Tasse entgegen, die sie schließlich auch bekam. Beim rausgehen, aus dem Wohnzimmer, wurde sie von Sam sachte am Arm berührt. "Du kannst den Tee weglassen, Lambert nimmt nur den Schuss." Verwundert drehte sich Lia zu Lambert und dann wieder zu Sam. "Na meinetwegen. Bleibt mehr Tee für mich", damit verschwand sie endgültig in der Küche.
Lambert nutze die kurze Gelegenheit, dass Lia nicht im Raum war und sprach Sam an: "Warum sagst du ihr nicht einfach, was du mir vorhin schon gesagt hast?" "Ich kann nicht!" Richard verfolgte das kurze Gespräch aufmerksam. "Doch du kannst", beharrte Lambert darauf. Sam antwortete nicht darauf. Auch Richard schwieg weiterhin. Immer noch sah Lambert Sam auffordernd an. "Lass mich", fauchte Sam mehr kraftlos, als dass es tatsächlich hätte fies klingen können, stand schließlich auf und verschwand die Treppe nach oben. Lia kam zurück ins Wohnzimmer und schaute etwas bedröppelt drein, als sie noch den Rücken von Sam nach oben verschwinden sah. Sie drückte Lambert das Glas in die Hand, "nicht weglaufen, bin gleich wieder da", mit diesen Wort entschwand auch Lia nach oben. Richard seufzte mal wieder. "Es fällt ihm unheimlich schwer über seine Gefühle zu reden, hm?!" Lambert nickte, er kannte Sam lang genug.
Lia steuerte geradezu das Schlafzimmer an und fand Sam auf dem Bett liegend. "Sam?" Er reagierte nicht. Lia hingegen war es egal. Sie kletterte zu Sam aufs Bett und sah ihn an. Sam hatte die Augen geschlossen, spürte aber die Blicke von Lia auf sich. Langsam öffnete Sam wieder seine Augen und blickte sie an. "Lia? Ich...", Sam brach seinen Satz wieder einmal ab. Lia merkte, wie schwer es ihm fiel, mit ihr darüber zu sprechen. "Soll ich besser gehen?" Eigentlich hätte Lia das nicht fragen brauchen, natürlich wäre es für Sam angenehmer gewesen, wenn Lia gehen würde. Daher wartete sie keine Antwort ab, und robbte zum Bettende. Sam hielt sie fest, als er merkte, dass sie tatsächlich im Begriff war, wieder zu gehen. Er zog sie zu sich und schlang vorsichtig seine Arme um sie. "Nein, du brauchst nicht gehen. Lia? Ich will das Kind, nur weiß ich nicht, ob ich das schaffe", erklärte Sam ihr in einem fast flüsternden Ton. Sie drehte sich in seine Armen zu ihm und gab ihm einen Kuss. Sie wusste, was Sam meinte und beließ erstmal dabei. "Bitte Sam, kommst du wieder mit nach unten?" "Ich komm gleich nach, versprochen." Sam zog Lia noch einmal enger an sich ran, gab ihr einen Kuss und ließ sie dann los. "Du kommst wirklich gleich nach?" "Versprochen!"