Sie wurde wach, aus dem einfachen Grund, da die Seite rechts von ihr leer und kalt war. Verwirrt schaute sich Lia um, ging dabei noch einmal auf Nummer sicher und drehte sich zu ihrer linken um. Richard schlief noch. Mit irgendwie gemischten Gefühlen stand sie auf und suchte die Wohnung nach Sam ab. Nichts. Ihr Blick zur Uhr. Kurz nach sechs Uhr morgens. Sam war schon längst weg, stellte sie fest. "Hmpf, na toll, er hätte ja mal was sagen können", murmelte Lia völlig verschlafen vor sich hin. Die gemischten Gefühle wichen und machten der Traurigkeit platz. Er war gegangen, ohne ein Wort gesagt zu haben. Warum? Lia wusste keine Antwort darauf, wie so oft. Sie überlegte. "Nein, mein Lieber, so einfach kommst du mir nicht davon." Sie wirbelt auf dem Absatz rum, stürmte, ohne Rücksicht auf Verluste, das Schlafzimmer, zog sich um, gab Richard noch einen Kuss und rannte den Wohnungsflur entlang zur Tür. Im vorbei rennen, griff sie nach dem Autoschlüssel und ihrem Handy und sprintete den Hausflur, immer zwei Stufen auf ein Mal nehmend nach draußen. Vor der Tür stelle sie fest, dass sie nicht ihren Autoschlüssel gegriffen hatte, sondern den von Richard. Sie wollte keine Zeit verlieren und entschied sich dazu, den BMW zu nehmen. 'Der hat sowieso mehr unter der Haube als meiner', dachte sie sich, während sie einstieg und den Motor anließ.
Lia war innerhalb von wenigen Minuten auf der Hauptstraße gelandet und fuhr, mit weit aus höherer Geschwindigkeit, als erlaubt war, in Richtung Flughafen. Sie schreckte zusammen, als ihr Handy losging. Die Ruferkennung sagte ihr, dass es Richard war. "Hey?!" "Wo zum Teufel steckst du? Was machst du so´n Krach und wo ist Sam?" Raunte Richard am anderen Ende der Leitung. "Ich bin auf dem Weg zu Sam. Ich will ihn so nicht gehen lassen. Er hat kein Wort gesagt, dass er geht", schmollte sie durchs Handy. "Lia? Sam wird längst weg sein. Was du da treibst ist doch völlig sinnlos..." Lia würgte Richard ab. "Nein, sinnlos nur dann, wenn ich es nicht wenigstens versucht habe. Ich dreh jetzt nicht um, ich bin schon auf dem Berliner Ring."
"Du....Was? Wie? Lia?" Richard stockte der Atem, war sie doch erst vor ein paar Minuten los gefahren. Während des Telefonierens ging er durch die Wohnung und blieb am Sideboard im Flur stehen. Verwundert sah er Lias Autoschlüssel dort liegen. "Mit welchem Auto bist du unterwegs?" Fragte er mitten Mal alarmiert. "Mit deinem.....", gab sie kleinlaut zu, "es war aber keine Absicht, ich hab nicht gesehen, dass ich deinen Schlüssel gegriffen habe." Setzte Lia sich gleich zur Wehr. "Hmpf, schon gut. Tu mir bitte einen Gefallen und komm an einem Stück zurück, einverstanden?" Lia nickte, bis sie merkte, dass Richard, dass wohl nicht sehen würde. "Tschuldigung. Mein Nicken war nicht laut genug, hm?" Sie vernahm ein kurzes Lachen von Richard, verabschiedete sich dann von ihm und heizte weiter auf dem Berliner Ring Richtung Schönefeld.
Nachdem Lia die Freisprecheinrichtung wieder ausschaltete, sah sie, dass das Icon für die Mailbox blinkte. Verwundert schaltete sie wieder die Freisprecheinrichtung ein und wählte ihre Mailbox an. Was sie zu hören bekam, ließ sie schlucken und trieb ihr die Tränen in die Augen. "Warum denn so? Ausgerechnet jetzt? Arrrggghhh. Sam, du hast ein Timing....das geht schon gar nicht mehr", immer noch mit sich Selbstgespräche führend, fuhr Lia weiter und kam kurze Zeit später am Flughafen an.
Sie überlegte nicht lange, parkte den BMW in der nächst besten Lücke und machte sich auf, in die riesen Halle. Etwas verloren stand sie da. Obwohl es erst kurz nach sechs Uhr morgens gewesen war, herrschte schon jetzt reger Betrieb in der Flughafenhalle. Verzweifelnd sah sie sich um. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, von wo der Flug von Sam ging und vor allem, wohin der Flug ging. Sie konnte noch nicht mal fragen. Sie setzte sich schnellen Schrittes in Bewegung und fing an, alles systematisch nach Sam abzusuchen, in der Hoffnung, dass sein Flugzeug noch nicht weg war. "Den kann man doch gar nicht übersehen!" Fing sie mal wieder an, mit sich selber zu reden und ließ ihren Blick, so weit es ging, über die gesamte Halle schweife. Keine Spur von Sam.
Sie war inzwischen am anderen Ende der Halle angekommen und stand nun vor den großen Schreiben, die das Rollfeld von der Halle trennten. Völlig entmutigt ließ sie sich an einer der Scheiben runter rutschen. "Was hab ich denn erwarten? Das er tatsächlich noch hier ist? Blödsinn", seufzend erhob sie sich wieder. Es machte nun wirklich keinen Sinn mehr, noch länger hier zu bleiben. Noch ein Mal ging ihr Blick nach draußen zu den Maschinen. Eine davon erweckte Lias Aufmerksamkeit, so eine Maschine hatte sie bisher noch nicht gesehen. Trotz der Umstände, dass sie wegen Sam hergekommen war, und eigentlich auf dem Heimweg war, verharrte sie noch einige Minuten und beobachtete interessiert, wie die Maschine betankt wurde. Was sie als nächstes zu sehen bekam, war Sam. Lia war nun wieder in heller Aufregung, wie sollte sie jetzt auf sich aufmerksam machen? Auf das Rollfeld würde sie, so ohne weiteres, nicht kommen. Sie kramte in Windeseile ihr Handy raus und hoffte inständig, dass Sam seins, noch nicht abgeschaltet hatte.
Während sie die Nummer wählen ließ, rannte sie wie ein aufgescheuchtes Huhn, die Strecke, der Scheiben auf und ab, bis sie endlich ein Freizeichen bekam und Sam an der Strippe hatte. "Saaaam? Vergiss es, du verlässt diese Stadt so lange nicht, bevor wir uns nicht noch mal gesehen haben", sagte sie ohne Punkt und Komma und ohne Luft geholt zu haben. "Lia?", begann Sam etwas geknickt, "ich bin bereits auf dem Flughafen...ich....es geht nicht....." Wieder war es Lia, die einfach dazwischen ging. "Was du nicht sagst. Sam? Sieh zu den großen Scheiben, siehst du das aufgescheuchte Huhn dahinter rum rennen? Mit dem Handy? Ja? Klasse! Das bin ich."
Sie konnte hören wie Sam mit jemanden sprach und sich kurz danach wieder Lia widmete. "Warte da", damit legte er auf. Lia schaute etwas ungläubig ihr Handy an, eher sie es wieder in der Hosentasche verschwinden ließ und aufblickte. Sie sah sich mitten Mal zwei Flughafenangstellen gegenüber stehen und wusste im ersten Moment nicht so recht, ob das nun Gut oder Schlecht war. "Würden sie uns bitte folge?!" Hörte sie einen der Beiden sagen. Wortlos folgte sie den Beiden und bemerkte, dass sie nach draußen geleitet wurde. Ihr Herz begann Luftsprünge zu machen. Als sie Sam auf dem Rollfeld vor der Maschine stehen sah, gab es für sie kein Halten mehr. Sie rannte einfach los.
"Sam", dabei fiel sie ihn um den Hals und wollte ihn einfach nicht gehen lassen. "Lia? Es tut mir leid. Ich wollte mich verabschieden, aber...." Lia unterbrach Sams Ausführungen und gab ihm einen Kuss. "Jetzt darfst du gehen", flüsterte sie ihn sein Ohr. "Du hast Glück. Wir wären eigentlich schon längst weg gewesen." Vernahm Lia hinter Sam eine Stimme. Sie schaute über Sams Schulter und grinste Lambert an. "Soll auch mal vorkommen, oder?" gab sie frech in seine Richtung ab. "Ja, soll vorkommen. Bekomm ich Sam jetzt wieder?" fragte dieser lachend. Lia gab Sam noch einen Kuss und löste sich dann endlich aus der Umarmung. "Ich meld mich, versprochen." Lia nickte nur zur Antwort. Sie musste das Rollfeld wieder verlassen, begleitet von den beiden Herren, die auf sie gewartet hatten.
Als Lia wieder die Wohnung betrat, kam ihr ein leckerer Geruch von frischen Brötchen entgegen. Automatisch steuerte sie die Küche an, in der sie auch ihren Mann fand. "Hey!" "Und? Hast du ihn noch erwischt?" Richard schlug ein breites Grinsen entgegen. "Was denkst denn du, hm?" Damit setzte sie sich mit an den Tisch. Schnell merkte sie, dass ihr Sam fehlte, da er in den letzten Tagen immer mit hier am Tisch gesessen hatte. Ihre überschwängliche Freude darüber, dass sie Sam noch erwischt hatte am Flughafen, wechselte schlagartig in eine trübe Stimmung um, welche Richard nicht entging. "He? Es ist nicht für immer, dass weißt du auch." Seufzend nickte sie und versuchte sich ihre Stimmung nicht anmerken zu lassen. "Lia? Wir sind Morgen um diese Zeit auch schon unterwegs nach Südamerika", versuchte Richard sein Glück noch ein Mal, um Lia aufzubauen. Wieder nur stummes Nicken ihrerseits.
Lia war froh über die Ablenkung, die sie bis zum Abflug nach Südamerika noch bekam. Emu hatte alles veranlasst und sich um alles gekümmert, so dass Lia so gut wie gar nichts von dem ganzen Aufwand mitbekam. Erst am Flughafen, wurde ihr wieder bewusst, mit wem sie verheiratet war. Den Fans war es offensichtlich nicht entgangen, dass die Band wieder auf Tour ging und so stand eine Vielzahl an Fans, bereits in aller Herrgottes Frühe am Flughafen, um noch einmal einen Blick auf ihre Band werfen zu können, bevor diese für knappe drei Monate nach Südamerika flog. Sie hatten eine gute Stunde gebraucht, bis sie endlich in den Flieger konnten, um kurz darauf auch gleich abzuheben. Lia hatte bisher nicht viel von dem ganzen Drumherum mitbekommen, das mit der Band zu tun hatte. Es war das erste Mal für Sie, auch das sie Richard auf einer Tour begleitete.
"Alles in Ordnung bei dir?" Riss Richard sie aus ihren Gedanken. "Hm?" Lia war seit der Abreise von Sam, kaum noch zu gebrauchen gewesen. Immerzu versank sie in Gedanken und wirkte abwesend. Dieser Zustand hielt nun schon seit einigen Wochen an und Richard hatte oftmals Mühe mit Lia überhaupt ein Gespräch anfangen zu können. Lia versuchte sich zusammen zu reißen. Ihr entging nicht, dass es Richard zu schaffen machte, dass sie so mit ihren Gedanken und Gefühlen bei Sam war. "Mir geht es gut", antwortete sie hastig, bevor Richard noch ein weiteres Mal fragen musste. Ihr kam ein Seufzen entgegen. "Hört das auch mal wieder auf?" Wollte Richard ernst wissen. Sie blickte ihn traurig an. "Ich versuch es, versprochen. Es tut mir leid", entgegnete sie. "Das brauch es nicht. Es wäre nur schön, wenn du nicht immer so abwesend wärst. Ich hab manchmal den Eindruck, dass du gar nicht bei mir bist." Lia hatten ihren Blick schon wieder dem Fenster gewidmet und sah sich die vorbei huschende Landschaft an. Sie war noch nie in ihrem Leben so viel mit einem Bus unterwegs gewesen, wie jetzt. Ohne sich von dem Fenster abzuwenden sprach sie weiter mit Richard.
"Doch das bin ich...." Richard musste widerspreche. "Nein, dass bist du nicht. Lia? Weswegen ist Sam zurück in die Staaten geflogen? Nicht wegen der Arbeit, oder?" Sie zuckte unwillkürlich zusammen. Sie hatte geahnt, dass Richard irgendwann fragen würde, aber wusste genau, dass sie ihm nichts von dem Vorfall auf dem Parkplatz erzählen würde. "Lia?!" Wieder ein Zucken. Sie überlegte. Sam hatte ihr von seiner Tochter erzählt. Hatte er es auch Richard erzählt? Sollte sie es ihm erzählen? Sie würde wohl müssen. Richard würde so oder so ein Antwort verlangen. Eine, die Lias ständige, gedankliche, Abwesenheit plausibel erklären würde. Schließlich blickte sie ihre Mann wieder an und begann, dass zu erzählen, was sie von Sam wusste, über seine Tochter, deren Tod und damit zusammen hängend das Gefühlschaos von Sam.