„Hunger?“ fragte mich Sam mitten Mal unvermittelt. Ich konnte so schnell gar nicht auf das Thema Essen wechseln. Hatten sich doch unsere gemeinsamen Aktivitäten bisher nur auf das Training beschränkt. Ich sah ihn etwas ungläubig an, wollte ich doch grad nicht glauben, was Sam mich gefragt hatte.
Eigentlich musste ich nicht überlegen, ich hatte Hunger und das nicht zu knapp. Mein nächster Weg hätte mich so oder so zu einem Imbiss oder etwas ähnlichem geführt. „Öhm? Ja! Hab ich.“ Sam wendete sich von mir ab und ging los, „gut!“ Ich stand etwas verwirrt da und schaute Sam hinterher. Er blieb einige Meter von mir entfernt stehen, drehte sich zu mir um und sah mich an, „was ist? Komm schon.“
Manchmal konnte ich mit Sams Art so rein gar nicht umgehen.
Ein paar Straßen weiter befand sich ein kleines unscheinbares Restaurant, dass ich vorher noch nie gesehen hatte. Wie auch? Seit dem ich hier wohnte, bin ich ja kaum dazu gekommen, mir meine Gegend mal genauer anzusehen. Ich hatte mich mit Sam an einen Tisch gesetzt, der nahe dem Eingang war und dennoch in einer Ecke lag. Ich hatte mich mit Rücken zur Wand gesetzt um so den Eingang sehen zu können. Blickte ich nach rechts, sah ich durch eine große Glasscheibe, die typisch war für Restaurants. Der Nachmittag neigte sich bereits dem Ende und auf den Straßen setzte der angehende Feierabendverkehr ein.
Ich war mir nicht sicher, ob Sam mich tatsächlich nur zum Essen eingeladen hatte, oder ob nach andere Absichten dahinter steckten. Bei Sam musste ich immer auf alles gefasst sein. Zu oft kam es schon vor, dass er mich einfach nur testen wollte und sehen wollte, wie aufmerksam ich bin. Automatisch fing ich an, mir jede Kleinigkeit genau einzuprägen und auf alles zu achten. Ich wollte vorbereitet sein, falls Sam wieder mit einer Frage daher kam, die so unvorhersehbar war, dass ich so manches Mal wie ein kompletter Idiot dastand.
Sam grinste plötzlich, als wenn ich es geahnt hätte. Wahrscheinlich würde gleich wieder etwas kommen, womit ich nicht gerechnet hätte. Doch ich war vorbereitet, zumindest glaubte ich das. „Hör auf, deine Umgebung zu begutachten. Hier gibt es nichts, was sich zu beobachten lohnt. Außerdem sind wir zum Essen hier und nicht zum arbeiten.“
„Und so was muss ich mir von dir sagen lassen? Is doch wohl nicht wahr. Ich dachte schon, du lebst ausschließlich für die Arbeit.“ Wieder war es, dass ich darauf keine Antwort bekommen sollte. Sam war ein Buch mit sieben Siegeln, vermutlich wusste er mehr über mich, als ich jemals über ihn in Erfahrung bringen konnte. Er redete sowieso nie viel und wenn dann bezog es sich immer auf die Arbeit.
Ich versuchte während des Essens ein bisschen mehr von Sam zu erfahren, aber irgendwie sollte sich das als sehr schwierig erweisen. Würde ich Sam jetzt nicht schon seit einigen Monaten kennen, würde ich ihn als redefaul abstempeln, aber das war er nicht, nur wenn es um sein privates Leben ging.
Unsere Autos standen noch immer vor dem DoJo, so dass wir auch gemeinsam wieder den Rückweg einschlugen nach dem Essen. Ich war fast an meinem Wagen angekommen, als ich dachte, ich wäre in einem schlechten Traum. „Was willst du denn hier?“ Da stand er! Mein Ex.
Er hatte es bis heute nicht überwunden, dass ich ihn hab sitzen lassen. Ich war eigentlich froh, dass ich aus seinem Umfeld raus war und nun war er hier. Ich konnte fast alles handeln, nur mein eigenes Liebesleben konnte ich nicht in den Griff kriegen.
Ich hatte schlechte Erinnerungen an die Zeit mit meinem Ex. Hätte ich die Stelle hier nicht in Maryland angetreten, hätte ich den Schritt nie gewagt, mich von ihm zu trennen.
Das war leider so.
Ich bemerkte, wie er Sam einen abfälligen Blick zu warf. Das war einer seiner extremen Macken. Er war hochgradig eifersüchtig und das meistens zu unrecht. „Lee! Gott, du hast mir so sehr gefehlt“, seierte er mir ins Ohr, während er die Dreistigkeit besaß mich zu umarmen. Es hätte jeder x-beliebige sein können, ich hätte ihm sofort den Hals umgedreht, doch jetzt stand ich, wie versteinert, nur da und konnte nichts machen.
Endlich hatte ich meine Fassung wieder und stieß ihn unsanft von mir weg, „lass deine Pfoten von mir“, zischte ich ihn an und trat einige Schritte zurück um Abstand zu bekommen. Ich verlagerte mein Gewicht um eine bessere Position zu bekommen. Nun war ich auf der Hut, sollte er es noch mal wagen, mich anfassen zu wollen, würde ich dieses Mal kurzen Prozess machen.
Sam bemerkte, wie ich unter Anspannung stand und stellte sich in meine Angriffsbahn. „Ich denke, Sie sollten besser gehen“, versuchte Sam die Situation zu entschärfen.
„Ach, was? Hat sich dein Geschmack so sehr verändert, dass du jetzt auf so was wie den hier stehst?“ Noch so ein Grund, warum ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Ich hasste seine oftmals spitzfindigen Bemerkungen, die auch zu oft unterhalb der Gürtellinie landeten.
Feststand gerade für mich, dass er diesen Satz besser nicht gesagt hätte. Innerhalb von einer Sekunde, stand ich wieder vor meinem Ex. Ich hatte bereits zum Schlag ausgeholt, als ich merkte, dass ich daran gehindert wurde, diesen auszuführen. Sam hatte meinen Arm gegriffen und mich ein Stück zurückgezogen. „Tu nichts, was du hinterher bereuen könntest“, murmelte er mir fast lautlos zu. „Beruhig dich“, sagte er anschließend etwas lauter.
Mein Ex war instinktiv einen Schritt vor mir zurück gewichen, ehe er seinen Senf dazu abgeben musste: „Ja, genau. Beruhigt dich, hör auf deinen Schatz.“ Das war zu viel des Guten für mich, ich raste vor Wut und verlor gerade gänzlich meine Beherrschung. Mit einer schnellen Bewegung befreite ich mich aus dem Griff von Sam und war wieder bei meinem Ex.
Doch wieder war Sam überraschend schnell und griff ein weiteres Mal ein. Nur dieses Mal war es nur mit dem Arm fixieren nicht getan. Sam musste mich mit beiden Armen festhalten um mich einigermaßen fixieren zu können. Ich dachte gar nicht daran aufzuhören. Der Wunsch, meinen Ex unter die Erde schicken zu wollen, stieg bei mir ins unermessliche und ich würde jetzt alles daran setzen, dies auch zu tun.
Mein Ex erkannte offenbar den Ernst der Lage nicht, denn er musste noch weitere Sprüche lassen, die mich nur weiter anheizten, meinem Wunsch nachkommen zu wollen. „Na? Da haste aber ganz schön mit ihr zu tun, wie? So kenne ich sie noch gar nicht. Stehst wohl drauf, was?“
„Sam? Lass mich los, ich bring ihn um“, mir war gerade egal, was andere dachten. Ich wollte meinen Ex nur noch zum Schweigen bringen. „Das du dazu im Stande bist, ist mir klar, und genau deswegen werde ich dich jetzt ganz bestimmt nicht los lassen.“ Sam blieb trotz der angespannten Situation immer noch ruhig und redete auch genauso mit mir.
Es dauerte einen Moment bis ich das Gesagte von Sam realisierte. Er hatte Recht, ich war im Stande dazu, aber ich würde nichts davon bereuen, trotzdem beruhigte ich mich wieder. „Hör zu Vince! Ich habe das Ganze beendet zwischen uns, da ist nichts mehr, kapier das endlich. Verschwinde aus meinem Leben.“ Ich hatte nicht die große Hoffnung, dass Vince endlich verstehen würde, dass mein Leben ohne ihn weiter gehen würde.
„Bitte, dann werd doch glücklich mit dem da“, er zeigte dabei auf Sam. Ich rollte mit den Augen, es nervte mich so sehr an, diese Eifersucht, die so unbegründet war.
Ich hatte den Eifersuchtsgedanken noch nicht ganz zu Ende gedacht, als mir eine wahnwitzige Idee kam. Ich hoffte, ich würde sie überleben. „Glaub mir, ich werde wesentlich glücklicher mit Sam sein, als ich es mit dir je war“, um meinen Worten noch Nachdruck zu verleihen, drehte ich mich zu Sam und gab ihm einfach einen Kuss. Ich hatte zwei Hoffnungen. Erstens: Vince würde nun endlich verstehen, dass es endgültig vorbei war und zweitens: ich hoffte inständig, dass Sam es mir verzeihen würde.
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