Schließlich war es Charlie, der das Wort ergriff. "So und nun erklär mir doch mal bitte, weswegen du dich nicht hast bei mir blicken lassen. Hab´ ich dir was getan? Oder hab´ ich dich verärgert? Irgendwas muss es ja sein, oder?" Es war Verzweiflung, die sich bei Charlie langsam ausbreitete; er wollte wissen, was los ist, aber er bemerkte auch, dass es Don offenbar schwer fiel darüber zu reden.
Er sah seinen Bruder an und sah einen von Müdigkeit und Erschöpfung ausgelaugten FBI-Agent vor sich. "Charlie, weißt du, das Ganze ist nicht einfach in zwei Sätzen erklärt und ich weiß auch gar nicht wirklich, wo ich anfangen soll."
Don war nicht im Stande seinem Bruder direkt in die Augen zu blicken. "Dann fang´ doch einfach von vorne an. Zum Beispiel vor zwei Wochen. Was war das für ein Fall, der dich davon abgehalten hat, dich bei mir zu melden?" Es brannte Charlie auf der Seele, er wollte es unbedingt wissen. Seitdem Don wieder zurück in L.A. ist, war kaum ein Tag vergangen an dem sich die Beiden nicht gesehen hatten. Er hatte Angst, dass so etwas wie in den vergangenen Wochen sich wiederholen würde oder ab sofort zum Alltäglichen gehören könnte. Und dies wollte Charles unter gar keinen Umständen.
Don war es leid, Charlie zu belügen und ihm weismachen zu wollen, dass es ein schwieriger Fall gewesen sein soll, der ihn zwei Wochen lang von Charlie fern gehalten hatte. Er entschied sich dafür, Charlie nicht länger zu belügen. Er trat einen Schritt näher an Charlie heran und setzte sich zu ihm auf das Sofa. "Es war kein Fall, Charlie. Du warst es, der mich davon abgehalten hat." Er machte eine kurze Pause und wollte gerade weiter erklären, als Charlie ihm ins Wort schnitt. "Wie bitte? Was habe ich dir denn getan?" Fragte dieser verletzt und konnte immer noch nicht glauben, was er da von seinem Bruder hörte. "Charlie... lass es mich erklären, bitte, ja? Ich brauchte einfach Zeit zum Nachdenken. Es tut mir leid, dass ich..."
"Zeit zum Nachdenken, über was?" unterbrach ihn Charlie schroff.
"Um über uns nachzudenken, Charlie, über unsere Beziehung zueinander." Charlie wollte erneut dazwischen funken, aber Don ließ ihn diesmal nicht zu Wort kommen, sondern sprach weiter. "Mir ist dabei einiges klar geworden. Es kann gut sein, dass das, was du jetzt hören wirst, dir vielleicht nicht gefallen wird, aber ich bitte dich, mich wenigsten anzuhören."
In Charlies Kopf schwirrten mitten mal Millionen von Gedanken und Gründe; was wollte Don von ihm oder was wollte er nicht? Diese Fragen drängten sich sofort auf die ersten Positionen in seinen Gedanken.
Es fiel Don von Minute zu Minute schwerer überhaupt noch einen klaren Gedanken zu fassen. Der Schmerz in seinem Kopf glich dem eines Presslufthammers und eine Aussicht auf Besserung war nicht in Sicht. Er wurde mitten mal von der Sehnsucht gepackt, Charlie in den Arm zu nehmen, ihm durch seine Locken zu fahren und ihm zu sagen, dass alles in Ordnung war und er immer für ihn da sein wird. Aber angesichts der momentanen Situation, wäre dies sicherlich nicht die beste Entscheidung gewesen. Don versuchte sich wieder in den Griff zu bekommen, versuchte, die inzwischen penetranten Kopfschmerzen zu ignorieren und suchte nach den richtigen Worten für Charlie.
"Es ist jetzt nicht so, wie du denkst." Zum erst Mal, seit dieses Gespräch begonnen hatte, schaffte es Don, seinem Bruder direkt in die Augen zu sehen. Dieser erwiderte seinen Blick und spürte, dass es dem älteren Bruder immer schlechter ging bei dem, was er sagen wollte. Don seinerseits konnte dem Anblick des Jüngeren nicht standhalten und wich ihm aus. Charlie rückte daraufhin ein Stück näher an seinen großen Bruder ran, beugte sich leicht nach vorne und drehte seinen Kopf in Dons Richtung, um ihm in die Augen sehen zu können. Mit sanft beruhigendem, aber auch mit besorgtem Ton sprach Charlie ihn an: "Don, egal was es ist und um was es sich auch handelt, du kannst es mir sagen."
Das war zu viel für den normalerweise nervenstarken FBI-Agent. Es brachte ihn endgültig um den Verstand, dass der dunkelhaarige Lockenkopf sich nun auch noch genau vor seinem Gesicht positioniert hatte und ihn eindringlich anvisierte. Don sah vom Boden hoch und erblickte die dunkelbraunen Augen und die dazugehörigen schwarzen Locken, die sanft das Gesicht des Jüngeren umspielten.
Es war Don nicht mehr möglich, seine Gefühle und Sehnsüchte zu kontrollieren. Er ließ ihnen freien Lauf, überwand die kurze Distanz zwischen ihm und Charlie und küsste diesen kurz, aber zärtlich. Es war für ihn die Erfüllung eines lang ersehnten Traumes, der nun greifbare Realität geworden war.
Was jetzt folgte, war alles, nur nicht das, was Don in unzähligen Szenarien in seinen Gedanken durchgespielt und erwartet hatte. Er hat mit vielem gerechnet, so zum Beispiel damit, dass Charlie aufspringen, ihn anbrüllen und ihn fragen würde, was mit ihm los sei und ob er noch ganz bei Trost sei. Dass Charlie völlig verstört, ohne ein Wort zu sagen, den Rückzug in seine Zahlen antreten würde, in seinem Schuppen. Oder, was Dons größter Albtraum gewesen war, dass Charlie ihn aus dem Haus geschmissen hätte und mit ihm nichts mehr zu tun haben wollte. Aber nichts von allem dem passierte. Man blieb gelassen neben seinem älteren Bruder sitzen, fixierte ihn, überlegte einen Moment und fragte schließlich mit ruhiger Stimme: "War es das, was du mir sagen wolltest?"
Don war verwirrt, aber zugleich auch unendlich erleichtert, dass er diesen Schritt gemacht hatte und Charlie immer noch neben ihm auf dem Sofa saß. "Charlie, ich...ja, das habe ich dir die ganze Zeit sagen wollen. Ich wusste nur nicht, wie ich dir das sagen sollte, deswegen brauchte ich ein Timeout. Ich war mir einfach nicht sicher, mit dem, was ich für dich empfinde."
Man spürte immer noch die Anspannung des Anderen, bemerkte aber auch eine gewisse Erleichterung. "Und? Bist du dir nun sicher, was du für mich fühlst? Weil, wenn es nicht so ist, dann kannst du gleich wieder gehen." Sagte Charlie in einem Ton, der keine Widerworte duldete. Don zuckte augenblicklich zusammen, verlor schlagartig sämtliche Farbe aus seinem Gesicht und brachte nur ein gequältes: "Wie?" hervor. Sollte sein größter Albtraum nun doch noch bittere Wirklichkeit werden?
Charlie ließ seinen Bruder noch einige Augenblicke im Ungewissen, bevor er mit einem breiten Grinsen Don aus jenem schrecklichen Albtraum befreite. "Don, glaubst du wirklich, dass ich dich ein zweites Mal verlieren will?"
Die Hand vom Jüngeren wanderte zum Nacken von Don, seinen Kopf leicht an die Stirn von ihm gelegt und die andere Hand auf dessen Knie, war es diesmal Charlie, der die brüderliche Distanz durchbrach und Don küsste. Es war ein langer Kuss voll intensiver Zärtlichkeit.
Zärtlicher als zuvor der erste, der nach Charlies Ermessen viel zu kurz ausgefallen war.
"Und? Du hast mir meine Frage immer noch nicht beantwortet? Was fühlst du für mich?"
"Charlie, das ist ja genau der Punkt. Ich empfinde so viel für dich, dass ich gar nicht weiß, wie ich dir das erklären soll." Er machte eine kurze Pause, atmete einmal tief ein und wieder aus, ganz beiläufig stellte er fest, dass die Schmerzen in seinem Kopf langsam begannen abzuklingen und fuhr fort: "Charlie, ich...-...ich..." Don kam ins stocken, überlegte noch einmal und setze erneut zu einer Antwort an. "Ich liebe dich, Charlie! Ich will morgens neben dir im Bett aufwachen und dich in meine Arme nehmen können, ich will mit dir beim fernsehen kuscheln und dir stundenlang durch deine Locken wuscheln."
Es war vollbracht. Don hatte es endlich geschafft, dass in Worte auszudrücken, was ihm seit geraumer Zeit auf der Seele lastete und er war froh, dass es endlich über seine Lippen kam. Obwohl er immer noch über die Reaktion seines kleinen Bruders verwundert war, entschied sich Don erst mal dafür nicht nachzufragen, warum dieser es so gelassen aufgenommen hatte. Er war sich sicher, dass er die Antwort bald kennen würde. Wenn er sie nicht eigentlich schon lange vorher gekannt hat und bisher nur nicht darauf reagiert hatte.
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